Leseprobe - Wer Fortuna trotzt
Kapitel I
Das Omen
Provinz Belgica, Bergbaurevier nahe Sarabriga an
der gallischen Grenze,
10. Juni 192
Auf dem Weg zu den Stollen schlug Felix das Herz
bis zum Hals. Mehr denn je spürte er heute die Verantwortung
auf sich lasten. Welcher Dämon hatte ihn nur gepackt, Onkel
Iulius zu bitten, für ihn ein Wort bei Kaiser Commodus einzulegen?
Aber hätte er ahnen können, dass Commodus ihn gleich als
Curator Metallis in den beiden Germanien und der Belgica einsetzen
würde? Im Auftrag des Kaisers Anzeigen über Verstöße
gegen das Bergbaugesetz nachzugehen war keine Aufgabe, mit der man
sich Freunde machte, nicht bei den Pächtern und schon gar nicht
bei den lokalen Procuratoren.
Felix lief die schmale Terrasse am Berghang entlang und blickte
über das Tal. Es war noch früh und er genoss diesen Moment
der Ruhe. Das silberne Band des Flusses zeichnete sich unter dem
Dunst der Morgensonne ab. War das da hinten wohl schon Gallien?
Das Unbehagen ließ sich nicht vertreiben. Die Götter
mochten wissen, was heute mit ihm los war, bisher war doch alles
vorbildlich gelaufen. Und der Pächter hier, Emilianus, war
ein alter Bekannter aus der Agrippinensis, warum also sorgte er
sich? Felix kannte Emilianus als verantwortungsbewusst und rechtschaffen,
erwartungsgemäß war die Kontrolle der Einrichtungen über
Tage zufriedenstellend ausgefallen. Nur Versäumnisse bei der
Lagerhaltung hatten Grund zu einer Beanstandung gegeben, aber die
würde Emilianus sicher zügig beheben. Mochte die Prüfung
unter Tage nur weiter so problemlos verlaufen. Es wäre es keine
Freude, gerade bei einem guten Bekannten schwerwiegende Unregelmäßigkeiten
festzustellen.
Schließlich war die Versuchung groß, es ging um ansehnliche
Beträge. Und damit die stetig in die kaiserliche Kasse flossen,
ließ Kaiser Commodus nicht nur Fördermenge und Pachtdokumente
kontrollieren, sondern auch die Sicherheit der Bergwerke. Rom sollte
keine Einbußen erleiden, weil Stollen einbrachen und die Förderung
der Bodenschätze zum Erliegen kam.
Es war eine große Verantwortung, die Felix da trug. Zudem
machte ihm das halbe Dutzend Männer, das ihm unterstand, das
Leben schwer. Alle waren seit Jahren dabei und machten keinen Hehl
daraus, dass sie ihn für zu unerfahren hielten. Vor allem sein
Stellvertreter Quintulus hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem
Berg, strebte wohl selbst nach seinem Posten. Gerade heute war es
Felix sehr recht, dass Quintulus und die anderen schon das nächste
Revier erkundeten.
Felix straffte den Rücken. Sein Blick strich über den
Horizont, er konnte sich nicht losreißen. Eine Windboe wirbelte
ihm eine Haarsträhne ins Gesicht. Irgendwo dort in dem Morgennebel
musste die gallische Hauptstadt Divodurum liegen, eine Metropole,
wie es hieß.
Rauchsäulen, Höfe, bestellte Felder erstreckten sich zu
seinen Füßen, Zeugen der Zivilisation; Wälder, Wiesen
im fernen Dunst, bildgewordenes Hirtengedicht.
Hier am Hang, vor und neben ihm, zeigte die Zivilisation ein anderes
Gesicht. Stümpfe abgeholzter Bäume, rauchende Meiler und
Schmelzöfen, niedrige Hütten, Schuppen, Materiallager,
Berge von Abraum und Schlacken. Felix sah Rom vor sich, die Villen
und Wandgemälde, Brunnen und Thermen, Bronzestatuen, Geschirr
und natürlich Waffen
All das gäbe es nicht ohne
Siedlungen wie diese. Er war stolz darauf, zu Wohlstand und Sicherheit
des Reiches beitragen zu können. Onkel Iulius sollte es nicht
bereuen, sich für ihn eingesetzt zu haben. Hoffentlich würde
Felix ihm seine Wohltaten einmal vergelten können.
"Salve Curator!"
Die Arbeiter musterten ihn im Vorübergehen, steckten die Köpfe
zusammen. Felix war sich bewusst, dass auch sie ihn für zu
jung für seine Aufgabe hielten. Er wandte sich um, wenige Schritte
vor ihm öffnete sich das Mundloch des ersten Stollens. In einer
Nische über dem sauber gemauerten Zugang wachte der Genius
des Bergwerks über die Ein- und Ausgehenden. Ein Holzschild
neben dem Eingang wies Emilianus als Pächter aus, der den Betrieb
an den Nonen des Martius in Betrieb genommen hatte.
Felix zückte seine Wachstafel und trat in den Stollen. Ein
feuchter, felsiger Geruch wehte ihn an, sofort fühlte er sich
besser. Dieser Geruch, die Dunkelheit, sogar die Enge der Stollen
waren ihm von Kindheit an vertraut. Dass sie Gefahren bargen, wusste
er.
Unter einem Schacht blieb er stehen. Ein Luftzug strich ihm über
das Gesicht als er nach oben schaute und den Lichtkreis in gut dreißig
Fuß Höhe ins Auge fasste, in dem ein Förderkorb
schaukelte. Aus dem Stollen hinter ihm drang der übliche Arbeitslärm,
das Hämmern von Metall auf Stein, wiederhallende Stimmen.
Er wandte sich wieder dem Stollen zu und notierte sein Ergebnis:
Beleuchtung ausreichend, Höhe und Breite ebenfalls, Entwässerung
ordnungsgemäß in Rinnen seitlich der Sohle, der Ausbau
des Stollens aus Lerchenholz, Verzimmerung sachkundig.
Wie sah es mit den Stützen aus? Feix hob seine Fackel, leuchtete
den Holzpfosten von oben bis unten ab, klopfte an ihm, horchte auf
den Widerhall. Alles war so, wie es sein sollte. Fest verkeilt würde
der Balken noch eine Ewigkeit hier stehen und den Fels zu ihren
Häuptern stützen.
Er lauschte, etwas da oben irritierte ihn, ein feines Geräusch,
von dem Schaben und Kratzen, Klopfen und Knirschen ringsum fast
übertönt. So war es auch nur ein Gefühl, das ihn
vortreten und erneut den Bewetterungsschacht hinaufsehen ließ,
der gleichzeitig zur Förderung des Kupfererzes diente. Dort
oben, in lichter Höhe, schaukelte noch immer der Förderkorb.
Seinen trägen Bewegungen nach zu urteilen, war er voll und
schwer, warum holten die Arbeiter ihn nicht endlich ein? Gab es
Schwierigkeiten? Hoffentlich hatten Emilianus' Leute die beschädigte
Haspel inzwischen repariert oder wenigstens die Seile ausgetauscht,
die schon ganz verschlissen gewesen waren. Felix hatte den Pächter
über die Lässlichkeit in Kenntnis setzen lassen.
Wieder dieses Geräusch, es ließ Felix in den Stollen
zurücktreten. Nach dem Blick in die helle Öffnung des
Schachtes dauerte es einen Augenblick, bis sich seine Augen an das
matte Licht der Öllämpchen gewöhnt hatten. So erahnte
er Publicus zunächst nur, als der sich ihm aus der Tiefe des
Stollens näherte.
"Ist da oben etwas nicht in Ordnung?" Der Vorarbeiter
trat in den diffusen Lichtstrahl, stemmte die Hände in die
Seiten und schaute hoch.
Im nächsten Moment nahm Felix ein Sirren wahr, Steine kollerten
auf den Boden, schlugen ihm gegen die Beine. Ein Schrei gellte in
Felix' Ohren. Krachen, Poltern, er streckte seinen Arm nach Publicus
aus - und griff ins Leere.
Publicus lag reglos vor Felix' Füßen. Eine Staubwolke
waberte durch den Stollen, die Öllampchen ringsum waren erloschen,
es herrschte eine Finsternis wie im Orcus.
Felix stand wie gelähmt.
Schritte kamen näher, Husten, Kettenklirren, Fackelschein.
Das mussten die Sklaven sein, die den Abraum in die Weitung geschaufelt
hatten. Sie waren dem Schacht am nächsten gewesen.
Felix würgte keuchend den Staub aus der Kehle, schluckte den
bitteren Geschmack hinunter, der ihm den Hals hinaufdrängte.
Hätte er vorhin die Haspel, die Seile kontrolliert, statt seinen
Gedanken nachzuhängen, wäre Publicus dieses Unglück
womöglich erspart geblieben. Es war seine Schuld, wenn
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