Leseprobe - Gewinne der Götter Gunst
Sanft loderten die Flammen der Kerzen in den Kandelabern
und tauchten die Wände in goldenes Licht. Silvanus trat vor
das Standbild der Göttin Fortuna, hob die Hände, schloß
die Augen und fühlte eine Ruhe in sich, die er lange vermißt
hatte.
Zufällig hatte er heute morgen diesen Weg gewählt und
an einer Straßenecke das kleine Heiligtum gefunden. Von außen
sah es unscheinbar aus, er wäre vorbeigelaufen, hätte
ihn nicht ein Weihrauchhauch angeweht, der durch das Portal nach
draußen gedrungen war. Er war hineingegangen, nein, es hatte
ihn hineingezogen, und so stand er nun hier zu Füßen
dieser wankelmütigen Göttin, deren Gunst er wieder zu
erringen hoffte.
Er wurde immer sonderbarer, seit er in dieser Provinz war. Aber
vielleicht sollte es so sein, vielleicht war tatsächlich alles
vorherbestimmt, und er hatte keinen Einfluß auf sein Schicksal,
wie manche Philosophen behaupteten. Er öffnete die Augen und
ließ die Hände sinken, ja, er wußte, was zu tun
war. Er sollte seine Arbeit, so gut es ihm möglich war, beenden,
und wenn die Götter ihm dabei helfen konnten, so durfte er
sich dem nicht verschließen.
Er wollte der Göttin etwas opfern, Fortunas Wohlwollen konnte
er gut gebrauchen, ein wenig Glück tat ihm wahrhaft not. Draußen
war jedoch niemanden gewesen, der Weihrauch oder ähnliche Opfergaben
verkaufte. Er sah sich um. Hinter ihm, neben dem Eingang stand ein
Kasten, ein Automat, stellte er fest, als er nähertrat. "Weihrauch:
1 Drachme" informierte ihn das Schild auf dem Deckel. Silvanus
holte die Münze aus seinem Beutel und warf sie in einen Schlitz.
Dumpf rollte die Drachme ihren verborgenen Pfad entlang und schlug
mit einem Klirren auf. Ein leises Knarren, dann prasselten einige
Weihrauchkörner in die Holzschale unter dem Kasten.
Was für eine ausgeklügelte Mechanik. Zwar hatte er schon
von solchen Automaten gehört, gesehen aber hatte er noch keinen,
und hier, in diesem abgelegenen Winkel der Stadt, hätte er
niemals so etwas erwartet. Was die Technik heutzutage alles vermochte,
es dauerte wohl nicht mehr lange, und sie flögen wie die Vögel.
Waren nicht Daedalus und Ikarus gar schon geflogen, und allein Ikarus'
Hochmut hatte den Erfolg vereitelt? Silvanus hatte diese Geschichte
für erfunden gehalten, früher. Doch hätte man da
geglaubt, daß ein solcher Kasten eine Portion Weihrauch gegen
eine Drachme herausgeben würde, ganz allein, ohne menschliches
Eingreifen?
Er suchte ein weiteres Geldstück und warf auch dies in den
Schlitz. Noch einmal erfreute er sich an dem reibungslosen Ablauf
der Maschinerie. Wahrhaftig ein Wunderwerk, gestiftet von Polidoros,
so stand auf einer Inschriftentafel an der Wand zu lesen, aus Dank
an Fortuna für erwiesene Wohltaten, glückliche Jahre und
günstige Geschäfte.
Silvanus warf seinen Weihrauch in die Schale mit den glühenden
Kohlen, Rauch stieg auf, kräuselte sich um das Haupt der Göttin.
Wie schön sie war, wie sanft ihre Augen leuchteten. Er schluckte,
plötzlich schien es Laelia zu sein, die ihn anblickte, voller
Enttäuschung. Hätte er das Schicksal ändern können?
Was nutzte es ihm jetzt, es war zu spät. Er mußte nach
vorn blicken. Vielleicht, wenn er in seinem Amt gute Arbeit leistete
- so er dazu noch Gelegenheit hatte - wenn Ventidius Bassus wieder
von seinen Fähigkeiten überzeugt war, vielleicht gab ihm
auch Laelia noch eine Chance. Wenn er ihr bewiese, wie ernst es
ihm diesmal war, wie sehr er sie brauchte, wie sehr er auf sie,
auf ihr Urteil vertraute, wenn er ihr zeigte, daß er ihr zugehört
hatte. Oft hatte sie beklagt, er sei ganz woanders, erzählte
sie ihm etwas, und sie hatte recht. Er wünschte, er wäre
wenigstens gestern für ihr Anliegen offener gewesen, daß
Zorn und Verzweiflung ihm nicht die Ohren verstopft hätten.
Von Dorimachos hatte sie erzählt, Bromeos' und Hesperis' Sohn.
Hatte Laelia wirklich gesagt, der verdächtigte seine Mutter,
Sciron ermordet zu haben? Auf jeden Fall konnte er sich erinnern,
daß sie die Sache mit Finculus' Schulden erwähnt hatte.
Warum fiel es ihm erst jetzt wieder ein, unbedingt mußte er
den Mann zur Rede stellen. Silvanus fluchte leise, besann sich und
warf einen entschuldigenden Blick zur Fortuna hinüber. Die
lächelte.
Hesperis. Auch Karsas hatte in Zusammenhang mit Palamedes von Hesperis
gesprochen. Vielleicht war doch etwas daran. Was also tun? Noch
einmal zu Illicia, um sich von ihr genau berichten zu lassen, was
sie von Dorimachos erfahren hatte? Um so indirekt zuzugeben, daß
er Laelia wieder nicht zugehört hatte? Nein, lieber zu Dorimachos
selbst und dann zu Finculus. "Fortuna", murmelte er, "gib
mir deinen Beistand. Ich weiß, ich habe deine Hilfe nicht
verdient, dennoch bin ich so freimütig, dich darum zu bitten."
Er neigte sein Haupt und versprach der Göttin und sich selbst,
bald wiederzukommen und ein neues Opfer darzubringen.

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